Hörgeschädigten-Abteilungen im Verein – eine Chance zur Inklusion
„Wir haben hier einen talentierten hörgeschädigten Athleten in unserem (Hörenden) Verein, der gern an Gehörlosenmeisterschaften teilnehmen würde. Was müssen wir machen?“
Mit dieser und ähnlichen Fragen wenden sich in letzter Zeit immer öfter Sportvereine, Trainer und Vereinskollegen von gehörlosen und hörgeschädigten Athleten an die Geschäftsstelle des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes und hoffen auf unbürokratische Unterstützung. Das Problem ist: neben dem Nachweis eines Hörverlustes von mindestens 55dB auf dem besseren Ohr gehört auch die Mitgliedschaft in einem Gehörlosen-Sportverein zu den Voraussetzungen für die Teilnahme an nationalen und internationalen Gehörlosen-Meisterschaften.
Aber viele Gehörlosensportvereine im DGS bieten aus verständlichen Gründen nicht alle Sportarten an und sind häufig aus finanziellen Gründen auch nicht in der Lage, qualifizierte Trainer einzusetzen. Was noch viel schwerer wiegt, ist der Umstand, dass diese Vereine räumlich nicht für jeden erreichbar sind, so dass die Mitgliedschaft unter Umständen nur der Form halber auf dem Papier besteht. Deshalb ist für Leistungssportler das Training in einem Hörenden Verein unerlässlich.
Doppelte Vereinszugehörigkeit?
Es gibt eine andere Möglichkeit, die mittlerweile schon in einigen Landesverbänden praktiziert wird:
Der Hörende Verein richtet für den/die gehörlosen und hörgeschädigten Athleten eine spezielle Abteilung ein und ermöglicht damit die Mitgliedschaft im DGS.
Sieger bei den LA-Hallenmeisterschaften 2013 über 3000m, Alexander Bley (TSV Kirchdorf); links 2.Platz, Daniel Helmis (SC Neubrandenburg) und rechts 3.Platz, Maik Müller (GTSV Essen)
Jüngstes Beispiel dafür ist die Geschichte des jungen Leichtathleten Alexander Bley, der durch die Einrichtung einer Hörgeschädigten-Abteilung in seinem Verein TSV Kirchdorf die Möglichkeit erhielt, Anfang März an den Deutschen Leichtathletik-Hallenmeisterschaften der Gehörlosen teilzunehmen und dabei auf Anhieb über 3000m den Titel holte.
Sind Gehörlosensportvereine dann nicht überflüssig?
Nein, selbstverständlich nicht. Die Vereine sind das Fundament des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes. Hier werden junge Hörgeschädigte an den Sport herangeführt und bekommen die Gelegenheit, sich gemeinsam mit anderen Betroffenen mit verschiedenen Sportarten vertraut zu machen. Gehörlosen-Sportvereine bieten darüber hinaus Angebote für Hörgeschädigte jeden Alters und sind vor allen Dingen im Breitensport eine unverzichtbare Stütze für den Verband.
Manche Vereine spezialisieren sich auf bestimmte Sparten und bieten dort gezielte Förderung an. So hat der GSV Bremen bereits einige junge Schwimmtalente aufgebaut oder die Gehörlosen Bergfreunde München für Nachwuchs im Ski-Kader gesorgt.
Und nicht umsonst sind in der Vergangenheit immer wieder Gehörlosen-Sportvereine mit dem „Grünen Band für vorbildliche Talentförderung im Verein“ ausgezeichnet worden.
Die Arbeit in den Gehörlosensportvereinen ist für den Verband unverzichtbar und von großer Bedeutung.
Warum ist die Teilnahme an Gehörlosenmeisterschaften für Leistungsträger überhaupt wichtig?
Wer hörgeschädigt ist, hat auch im Sport bisweilen mit erheblichen Nachteilen zu kämpfen. Eine Teilnahme an Meisterschaften unter gleichen Bedingungen ist daher eine wichtige Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten besser einzuschätzen und darüber hinaus eine Gelegenheit bei entsprechender Leistung auch international Anerkennung zu bekommen.
Inklusion?
Durch die Einrichtung spezieller Hörgeschädigten-Abteilungen in ihren Hörenden Vereinen wird eine zusätzliche Möglichkeit für junge Hörgeschädigte geschaffen, auch an Gehörlosenmeisterschaften teilzunehmen und ggf. sogar in den Nationalkader aufzusteigen. Dennoch bleibt der Sportler in seiner gewohnten Trainingsumgebung und bekommt qualifiziertes Training. Und das alles, ohne mit dem Label „hörgeschädigt“ ins sportliche Abseits zu geraten:
Der hörgeschädigte Sportler erfährt Inklusion in seinem Hörenden Verein – der Hörende Verein erfährt Inklusion durch die Aufnahme in den DGS.
Auch Deaflympics-Silbermedaillenträger Daniel Helmis vom SC Neubrandenburg gehört zu den DGS-Athleten, die über eine Abteilung in ihrem Hörenden Verein Startberechtigung für Gehörlosenmeisterschaften erhält. Er sagt:
„Die Herausforderung, besser zu sein als die anderen, bringt mich dazu, immer wieder Grenzen zu überwinden. Deshalb war der Einstieg in den Gehörlosensport für mich ganz besonders positiv, ich gehörte auf Anhieb zur Spitze und habe seitdem bei sieben internationalen Einsätzen bei Gehörlosen Welt- und Europameisterschaften meine Leistung bestätigt.“