Legende Heinrich Siepmann – unvergessen?
Am 26. Mai 2011 jährte sich zum 110. Mal der Geburtstag von Heinrich Siepmann: ein Mann, der wie kein anderer die Geschicke des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes als Präsident von 1933 bis zu seinem Tode 1974 geprägt hat.
Heinrich Siepmann wurde am 26.05.1901 in Essen geboren. Nachdem er mit 9 Jahren ertaubt war, besuchte er die Taubstummenanstalt in Essen. Nach Abschluss der Schule erlernte er den Beruf als Drucker und bildete sich in Eigeninitiative weiter bis zum Buchdruckermeister. 1933 machte er sich mit einer eigenen Druckerei in Mülheim an der Ruhr selbstständig und leitete sie bis zu seinem Tode 1974.
Als junger Mann engagierte Siepmann sich im Sportbetrieb und wurde in den 20er Jahren selbst einer der aktivsten Funktionäre in der deutschen und der international aufstrebenden Gehörlosensportbewegung. Er war 41 Jahre lang Präsident des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes. In der jungen Bundesrepublik ab 1949 wurde Siepmann einer der wichtigsten Vorreiter der Gehörlosenbewegung.
(Quelle: DGZ, Nr.23/24 1974)
Ihm zu Ehren veranstaltete der DGS am vergangenen Donnerstag im Rheinisch-Westfälischen Berufskolleg in Essen eine Ausstellung und Gedächtnisveranstaltung an der ca. 60 Gäste teilnahmen. Unter den Gästen waren auch die Töchter von Heinrich Siepmann, Margret Einighammer und Hiltrud Lierhaus, sowie die Enkelin Margret Einighammer-Reich und Urenkelin Katharina Reich. Weiterhin zählten zu den Gästen neben den Mitgliedern des DGS Präsidiums, darunter als Gastgeber Präsident Karl-Werner Broska, auch viele Heinrich-Siepmann Plakettenträger, die extra aus ganz Deutschland angereist waren. Präsident Broska war sehr stolz darauf, mit Gottfried Weileder, Karl Reschke, Manfred Kranz, Jürgen Grundmann, Olympia-Geher Gerhard Sperling und Willy Koch noch echte Zeitzeugen aus der Zeit des Wirkens von Heinrich Siepmann begrüßen zu können. Selbst Jürgen Stachlewitz von „Sehen statt Hören“ scheute nicht die weite Reise aus München, um an der Veranstaltung teilzunehmen.
Bereits am Mittag besuchten Präsident Broska, Vizepräsident Fiebiger und eine Abordnung des Gehörlosen-Sportverbandes Berlin Brandenburg mit ihrem Vorsitzenden Helmut Köster im Beisein der Töchter Siepmanns dessen Grab auf dem Mülheimer Hauptfriedhof und legten Blumensträuße nieder.
Am Nachmittag begrüßte Karl-Werner Broska die zahlreichen älteren aber auch einige junge Gäste im Foyer des Berufskollegs und dankte ganz besonders den Personen, die sich um die Durchführung der Veranstaltung bemüht hatten.
Die Schulleiterin Frau OstD Heidemarie Kleinöder hielt eine kurze Ansprache und betonte, dass sie ihre Einrichtung gern als Veranstaltungsort zur Verfügung gestellt hatte: wohl gemerkt ein Ort mit vielen jungen Menschen, die dort ihre Ausbildung machen und von denen nur die wenigsten etwas mit dem Namen Heinrich Siepmann anfangen können.
Zentraler Punkt der Veranstaltung war der Vortrag des gehörlosen Historikers Helmut Vogel, Deaf History Now – Bildungs- und Geschichtsbüro Frankfurt/Main, der in seinem einstündigen Referat auf das Leben und Wirken von Heinrich Siepmann einging. Anhand einer Powerpoint-Präsentation beleuchtete er Siepmanns Privatleben, Schule, Ausbildung und Beruf. Schwerpunkt des Vortrages war jedoch Siepmanns Zeit als Präsident des DGS.
Siepmanns Aktivitäten im Gehörlosensport oder in der Bewegung der Gehörlosen begannen in den 20er Jahren. Zu Beginn der Nazizeit 1933 wurde er zum Präsidenten des Verbandes deutscher Taubstummen Turn- und Sportvereine ernannt. Die Gleichschaltung aller bisher bestehenden Verbände im Gehörlosensport wurde in dieser Zeit von staatlicher Seite angeordnet. Aus dieser Situation heraus musste Siepmann sich für die Belange des Vorläufer-Verbandes des DGS einsetzen und für dessen Außenwirkung gerade stehen. Viele der damaligen Entscheidungen, Anordnungen und Veröffentlichungen des Verbandes geschahen auf Druck des herrschenden Regimes, dessen Macht in den Jahren 1936 bis zum Ende des III. Reiches stetig zunahm.
Helmut Vogel beleuchtete auch die Anfänge der Naziherrschaft und deren politischen, sowie gesellschaftlichen Einfluss auf den gesamten deutschen Sport. Eine Zeit, in der die Führung eines Verbandes als Präsident sicherlich nicht einfach war. Kritiker werfen Heinrich Siepmann heute Kollaboration mit der damals herrschenden Staatsführung vor und betrachten daher eine Heinrich Siepmann Plakette als höchste Auszeichnung des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes als unpassend. Helmut Vogels Forschung soll dem DGS dabei helfen, einen Schlussstrich unter dieses Kapitel seiner Geschichte zu ziehen.
Viele der anwesenden Zeitzeugen schilderten die damalige Situation aus ihrer Sicht und beschrieben Siepmann als charismatische Leitfigur, die vor und nach der Zeit des III. Reiches auch in verschiedenen internationalen Gremien des Gehörlosensportes anerkannt und geschätzt war. Das anschließende Gesprächsforum bestätigte diesen Eindruck.
Eine Kaffeetafel mit von Schülerinnen und Schülern des Berufskollegs selbstgebackenem Kuchen, sowie eine Ausstellung zu den Stationen im Leben von Heinrich Siepmann rundeten die Veranstaltung ab.